Unbezahlbar

29. Brief

Liebe Leonie,

Urvertrauen anstatt Misstrauen.

Autonomie anstatt Zweifel.

Initiative anstatt Schuldgefühl.

Diese drei Fähigkeiten sollte ein Mensch, laut dem Psychoanalytiker Erik H. Erikson (1902–1994) in den ersten vier bis sechs Jahren erlernen. In seinem Stufenmodell unterteilt er diese Entwicklungen eines Menschenlebens in acht Abschnitte. Erikson sieht in diesen Entwicklungsschritten immer Spannungen, die gelöst werden sollten. Kann ich Urvertrauen entwickeln oder stehe ich der Welt mit einem immerwährenden Misstrauen entgegen? Darf ich in die Freiheit oder in die Autonomie marschieren oder beherrschen mich Zweifel. Kann ich eine eigene Initiative ergreifen oder überkommen mich doch noch vorher Schuldgefühle.

Liebe Leonie, durch meine eigene Geschichte weiß ich, wie schwer es ist, Urvertrauen entwickeln zu können. In mir war über sehr lange Zeit Misstrauen gegenüber der Welt, den Menschen und auch gegen mich selbst ganz tief eingepflanzt. Erst in meinem Studiengang Leib-Bindung-Identität erkannte ich die Zusammenhänge zwischen Urvertrauen, Misstrauen und meinem eigenen Lebensweg. Dieser Lösungsansatz, der Beziehungen und die Idealisierung eines lieben Menschen einbaut, hat mir sogar in meinem Alter noch sehr viel geholfen.

Diese Spannungen zu lösen und sie positiv zu bewerkstelligen, dafür braucht es anwesende Personen, auf die sich das Kind verlassen kann. Deshalb sind feste, vertrauensvolle Beziehungen für die kleinen wie auch für die großen Menschen so wichtig, denn sie helfen ihnen dabei, diese Spannungen auszuhalten, sie zu lösen und das Gelernte in ihrem Leben integrieren zu können.

Liebe Leonie, diese Spannungen auszuhalten und aus ihnen zu lernen, fällt leichter, wenn ich mich mit einem geliebten Menschen vergleichen kann oder wenn ich diese Person auch idealisiere. Ein Mensch erlebt sich selbst als harmonische Einheit, aber nur so lange, wie seine Umgebung und die ihn begleitenden Personen, freudig auf ihn reagieren. Auch wenn er erkennt, dass er in seinem Gegenüber positive Kraft spürt und darauf zurückgreifen darf, kann er sich positiv entwickeln.

Wenn ein kleines Kind, eine ihm nahestehende Person, am besten seine Mutter oder seinen Vater idealisiert oder sogar mir ihr gleich sein will, – ich will so sein wie meine Mama oder so stark wie mein Papa – dann wird das unvollständige Selbst geschützt und kann von der Kraft der Mutter oder des Vaters zehren.

Durch die Kraft des anderen kann ich lernen oder diese Kraft kann mir helfen und mich leiten.

Diese Phasen werden von Kindern mit ihren Eltern durchlebt und sie wiederholen sich immer wieder als Lernmuster im gesamten Lebenslauf. Darum ist die intensive Zeit, die Eltern vor allem ihren kleinen Kindern widmen, so wichtig und wertvoll.

Gelingt dieser Prozess, weiß das gestärkte Kind, wie es selbst seine Fähigkeiten erwerben kann oder wie verlässliche Beziehungen dieses kleine Wesen in Situationen der Unsicherheit und Unlust durchtragen können.  Diese Verbindung mit den geliebten Menschen, bestenfalls den Eltern, führt zum Erwerb und Ausbau von Fertigkeiten und Gaben, die der Mensch sein ganzes Leben nützen kann. Darum ist es so wichtig, dass wir den kleinen Personen Zeit schenken, uns auf sie einlassen und sie stärken und fördern, um dadurch gute Vorbilder für unsere geliebten Kinder sein zu können.

Oder wie Birgit Kelle in ihrem Video betont: „Jeder selbstgebackene Kuchen gewinnt auf dem Kuchenbuffet und jede selbstgemachte Marmelade ist die beliebteste…“.

Warum tun wir uns in unserer Gesellschaft so schwer, das zu leben und auch zu verteidigen, was so offensichtlich gut und notwendig ist: Unsere Kinder selbst zu erziehen!

Liebe Leonie, nicht nur Deine Mama hat es am eigenen Leib erfahren, nein auch Andreas kann ein Lied davon singen: „Eine Mama ist unbezahlbar!“

Alles Liebe Deine Maria

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