Abbild Gottes

26. Brief

Liebe Leonie,

auch für mich ist die Kollegienkirche auf dem Universitätsplatz in Salzburg etwas ganz Besonderes. Ein junger Kunststudent erklärte mir einmal, Fischer von Erlach war bemüht, den Menschen aus den dunklen Kirchen herauszuholen. Der Architekt wollte ihn in seinen neuen hellen, lichtdurchfluteten Gotteshäusern mehr in den Mittelpunkt und auch näher zu Gott zu bringen. Ich weiß nicht, ob das so ganz richtig wiedergegeben ist, aber mir gefällt dieser Gedanke, „näher zu Gott“, sehr, sehr gut.

„Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Gen 1, 27

Liebe Leonie, zunächst wird gesagt, dass der Mensch als Abbild Gottes ihm ähnlich geschaffen wurde. Diese Beschreibung macht sofort die Besonderheit des Menschen klar. Zuerst erschuf Gott Adam, dann sah er: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ Gen 2, 18.  Hier ist ersichtlich, dass die Frau von Anfang an als Hilfe gedacht war, aber nicht als einseitige Hilfe, als Dienerin oder gar als Sklavin, nein, sondern als gleichwertig in der Gegenseitigkeit. Die Frau ist die Ergänzung des Mannes und der Mann ist die Ergänzung der Frau. Beide verwirklichen das Menschliche, jeder auf seine Art und Weise. Wenn die Bibel von Hilfe spricht, dann geht es nicht nur um das Tun, sondern auch um das Sein. Mann und Frau vervollständigen sich erst in der Gemeinsamkeit.

Liebe Leonie, in der Bibel wird die Frau oft als Gefährtin beschrieben. Für die Frau ist die absolute Liebe ganz selbstverständlich und eine Frau in ihrer Einzigartigkeit kann die Menschen so lieben. Sie ist prädestiniert zur Gefährtin und Gehilfin. Durch diese Liebesfähigkeit kann sie auch die Liebe im anderen hervorrufen.

In meinem Bekanntenkreis gab es ein Ehepaar, eine Familie, die mir sehr am Herzen lag. Gerhard war in seiner Jugend ein sehr gläubiger Mann, aber schon bald nach der Hochzeit verlor er den Glauben. Er trat mit seiner Frau aus der Kirche aus. Das Ehepaar bekam vier Kinder, die sie gut versorgten und trotz einiger Schwierigkeiten meinte es das Leben mit den beiden sehr gut. Sie hatten gute Jobs, ein wunderschönes Haus und die Kinder wurden zu rechtschaffenen Menschen. Alles lief gut, nur in der Ehe bekamen sie immer mehr Probleme. Sie entfernten sich immer weiter voneinander, blieben jedoch zusammen, bis Erika, siebzigjährig, an Krebs starb. Gerhard wirkte gefasst. Als ich nach seinem Tod ein Fotobuch über Erika bekam und den ersten Satz las, traf es mich im Herzen. „Die große Gefährtin ist tot.“

Gerhard nannte seine Frau nicht „die große Liebe“ oder „Erika“ oder „meine Frau“, sondern „große Gefährtin“. Sie war immer als seine Gefährtin gedacht. Obwohl er vom Glauben abgekommen war, blieb in ihm das Wissen, dass seine Frau seine Gefährtin war, tief verwurzelt.

Liebe Leonie, diese Geschichte bewies mir wieder einmal, ob wir nah oder fern von Gott sind, wir sind als sein Abbild in unserer Gegenseitigkeit gedacht. Wir sind Gefährten, die gemeinsam in unserer Unterschiedlichkeit auf unseren Lebenswegen unterwegs sind, um dadurch unserer innersten Aufgabe gerecht zu werden. Das Verschenken an den anderen. Dieses Verschenken kann in der Geburt eines Kindes seinen Höhepunkt erreichen.

 

Alles Liebe Deine Maria

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