Karriere in der Familie
21. Brief
Liebe Leonie,
„Wir leben in einer modernen Schizophrenie“, so Mechthild Löhr im Blogvideo „Wie verbinde ich Beruf und Familie“.
Irgendwie wird uns Frauen eingeflüstert, dass wir uns zwischen Familie und Beruf entscheiden müssten.
Ich habe mich zwar nicht zwischen Familie und Beruf entschieden, aber eine sehr lange Zeit meinen Fokus auf den Erfolg in meinem Job gelegt. Ich bin nicht ganz in diese Falle der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ getappt. Familie war und ist das Wichtigste für mich, aber ich investierte über viele Jahre, trotz meiner Kinder, sehr viel Zeit in meinen Beruf. Ich glaubte, was ich überall hörte: „Familie und Beruf lässt sich ganz einfach und wunderbar verbinden und ist der einzige Weg zum selbstbestimmten Lebensglück.“
Frau Professor Hanna Barbara Gerl-Falkovitz erzählt in einem EWTN-Interview über die hochintelligente, streitbare Philosophin und spätere Mystikerin Simone Weil (1909-1949).
Simone Weil arbeitete selbst in einer Fabrik, da sie der Meinung war, nur was man selbst erlebt hat, kann man auch bewerten. So stellte sie sich die Frage: „Was fühle ich nach einer sehr arbeitsreichen, anstrengenden Arbeitswoche. Kann ich noch schreiben, kann ich denken, bin ich noch ein Mensch?“ Ihre Antwort war ein Nein, sie sei zur Maschine geworden und konnte auch nicht mehr über ihre Gefühle sprechen.
Es ist mir bewusst, wir erleben heute völlig andere Zustände als zum Jahr 1935. Die Arbeitsbedingungen haben sich um ein Vielfaches verbessert, wir können uns viel mehr leisten und auch der Staat versucht mit Kinderbetreuung zu unterstützen.
Die Essenz von Simone Weils Erfahrungen bleibt auch heute noch dieselbe – auch wenn das Vergleichen der Umstände einer Anmaßung gleichkäme. Als ich an den Abenden nach meiner Arbeit nach Hause kam, hatte ich einfach keine Zeit, keine Kraft und auch keine Motivation mehr, mich mit meinen Kindern oder mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Ich konnte weder die Bedürfnisse meiner Jungs noch meine eigenen Befindlichkeiten und Wünsche wahrnehmen.
Wir sollten uns wirklich nicht hinreißen lassen und Beruf gegen Familie ausspielen.
So freue ich mich über die Kreativität von jungen Frauen, die versuchen, neue Wege zu gehen. Viele werden selbstständig, gründen Gymnastikstudios oder sie suchen sich Jobs, bei denen es möglich ist Familie und Beruf wirklich verbinden zu können. So macht es auch Andrea Harringer. Sie hatte im Sommer die Idee, mit ihrem Sohn Tobias ihre Heimatstadt Wien zu erforschen, um dann in der Zeitung „Der Sonntag“ allen Lesern von ihren Erlebnissen und Erkenntnissen zu erzählen.
Beide, Sohn und Mutter, konnten diese Zeit sehr genießen. Sie konkludiert:
„Und ‚Last but not least‘ hat mir mein Sohn in Erinnerung gerufen, dass so oft der Weg das Ziel ist bzw. dass schon der Weg Teil einer Unternehmung ist, dass der Weg so oft Momente, Dinge, Schönheiten bereithält, die wir nur entdecken müssen. Ja, es ist gut, wenn wir gesteckte Ziele erreichen, aber wenn wir auch schon auf dem Weg etwas für uns mitnehmen können, hat sich der Ausflug/die Unternehmung schon gelohnt!“ so Andrea Harringer, die nach der Karenzzeit sich ganz bewusst dazu entschieden hat, ihren Beruf auf 20 Stunden zu reduzieren.
Das Leben mit Kindern macht es möglich, glücklich zu werden. Oder wie Frau Löhr sagt: Nur den Beruf zu wollen ist zu kurzfristig gedacht, denn ein erfülltes Leben erhält man eher durch die Familie. Beides ist wichtig, aber nie die Familie dem Beruf opfern.
Liebe Leonie Mechthild gibt Dir ihren eigenen Rat: „Immer um die Familie kümmern, den Beruf aber im Blickpunkt halten.
Bis zum 20. Dezember