Ein Ja zum Kind
18. Brief
Liebe Leonie,
es ist eine Herausforderung, Mutter zu werden und auch, eine zu sein. Gerade wenn die Gesellschaft und der Staat uns nicht unterstützen, kann es oft schwierig sein.
Es wird uns in unserer Zeit nicht leicht gemacht, „Ja“ zu einem Kind zu sagen. Als ich zu meinem dritten Kind schwanger war, erklärten mich die Leute für verrückt. Bei Nummer vier und fünf bekam ich oft nur mehr ein mitleidiges Lächeln geschenkt.
Aber trotz allem sind wir zum Muttersein berufen. Das ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil unseres Wesens, unseres Frauseins. Es ist immer noch die schönste Aufgabe, die wir erfüllen können.
Auf meinem Lebensweg wurde mir immer klarer, dass wir Frauen vielfach nicht mehr wissen, welche Kraft, welche Stärke in uns steckt. Während meines Studiengangs „Leib-Bindung-Identität“ in der Phil.- Theol. Hochschule in Heiligenkreuz lernte ich die Schriften von Edith Stein über die Frau kennen. Edith Stein (1891-1942) ist Mitpatronin Europas, Philosophin und Märtyrerin. Ihre Ansätze über das Wesen der Frau und ihrer Seelenhaltungen waren für mich ein Wendepunkt in meinem Leben, denn sie trafen mich wahrhaftig im Innersten meiner Seele und gaben mir langersehnte Antworten. Die Philosophin stellte in ihren richtungsweisenden Gedanken heraus, dass die Frau immer das Ganze sieht und ihr dabei das Lebendig-Persönliche besonders wichtig ist. Wie recht sie hat! Wenn wir Frauen merken, dass es einem unserer Anvertrauten nicht gut geht, dann setzen wir uns für ihn ein, wir wachen nächtelang an den Betten unserer kranken Kinder und freuen uns, wenn sie Erfolg erleben. Ebenso dulden wir dabei auch Situationen, die uns zwar Sorgen bereiten, aber von denen wir überzeugt sind, dass sie dem Ganzen dienen. Wenn zum Beispiel mein Mann unseren Jakob dabei unterstützt, bei Autorennen, wie dieses Jahr im Histo-Cup, mit Höchstgeschwindigkeit über die Rennbahn zu brettern und ich voller Angst nur mehr Runde um Runde bete, weiß ich aber, dass es für unseren Drittgeborenen und seinen Vater enorm wichtig ist, ihre Leidenschaft und ihre Freude für diesen Sport gemeinsam zu erleben und deshalb unterstütze ich dieses Abenteuer, trotz meiner Sorge.
Da der Blick der Frau auf das Ganze ausgerichtet ist, will sie auch das Ganze fördern. Deshalb erträgt sie es nicht, wie Edith Stein festhält, wenn eine einzige seelische Fähigkeit auf Kosten einer anderen gefördert wird.
Liebe Leonie, so verstehe ich Lilly gut, wenn sie überwältigt ist, von der Aufgabe, ein viertes Kind zu bekommen. Aber wenn sie viele Frauen an ihrer Seite hat, die ihr beistehen, wird sie die Zeit, die Kraft und den Mut finden, mit ihrer Familie, ihrem Mann und ihren Kindern gut leben zu können.
Sie wird, wie bei ihren drei Kindern zuvor, erkennen, wie schön und erfüllend es ist, Mutter zu sein.
Bis zum zwanzigsten November